Ein weiterer Schritt im Tango

Als ich gestern in der „Times of Israel“ die Überschrift gelesen habe, musste ich tatsächlich an einen emotionalen Tango denken. Dies mag an der Leidenschaft liegen, mit welcher alle Seiten um die Sache kämpfen, es kann aber auch die rasche Folge von Fort- und Rückschritten sein, die mich als außenstehenden immer und immer wieder überraschen. Vielleicht lieg es aber auch an der romantischen Actionkomödie „Mr. & Mrs. Smith“ welche ich vor einiger Zeit gesehen habe. Dort waren Schlüsselszenen vom Regisseur mit einem Tango untermalt, Herzstück des Filmes ist eine Szene, in der die beiden Schauspieler Brad Pitt und Angelina Julie einen Tango tanzen, hierbei ihre Kräfte messen und die Waffen des Gegenübers suchen. Dieser Tango ist jedoch nur Vorbote eines Kampfes bis auf das Blut, ein Kampf um das Überleben, welcher dann doch in einem Patt und der Einsicht beider endet, dass sie ohne einander nicht leben können, dass sie sich ergänzen und brauchen, auch, um einen äußeren Feind zu besiegen. Sie lernen sich zu arrangieren, auch wenn es immer ein Kräftemessen zwischen den beiden gibt. 

Seitdem ich denken kann, tanzen auch wir diesen Tango. Der Kotel-Tango. Gestern haben wir wieder einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Genau genommen haben wir gleich drei gemacht. 1 http://www.timesofisrael.com/in-sweeping-decision-high-court-rules-for-womens-western-wall-prayer/ 

Schritt eins – Der jetzige Zustand des egalitären Ortes an der Kotel ist nicht zufriedenstellend, Schritt zwei – Frauen dürfen nicht so einfach extra durchsucht werden, Schritt drei, und dieser ist schon ein guter Sprung – es gibt keinen Grund, warum Frauen nicht aus der Thora lesen dürfen.

Doch was bedeuten diese Schritte eigentlich im einzelnen? Eins, der Zugang zur Kotel, welcher immer noch nicht besteht. Dies stimmt zwar melancholisch, doch bringt es eine Hoffnung: in einem im Januar gefundenen Kompromiss rückten die nicht-orthodoxen Strömungen (und die Women of the Wall) von den Toralesungen an dem Frauenabschnitt an der Kotel ab, bekommen im Gegenzug jedoch einen eigenen, egalitären Ort zum beten. Die Richter haben erkannt, dass die kleine Plattform am Robinsons-Bogen kein geeigneter Ort sei. Dies ruft die Frage auf, wo denn dann gebetet werden könne und es bleibt zu hoffen, dass sich die Regierung nun doch endlich bewegt, schon um zu verhindern, dass ein egalitärer Platz an dem „Kernstück“ der Kotel eingefordert wird.

Der zweite Schritt betrifft eine Praxis des Sicherheitspersonals an der Kotel, nach welcher Frauen extra Leibesvisitationen unterzogen, und so am „Schmuggel“ von jüdischen rituellen Gegenständen gehindert werden. Das Gericht bescheid das dies nicht zulässig sei und hielt die so die Bürgerrechte hoch. Das Mitführen von rituellen Gegenständen ist kein Grund die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Frauen zu verletzen. 

Der dritte Schritt betrifft unser Kernanliegen und ist in gewissen Maße die Summe aus den beiden ersten Schritten. Das Gericht erkannte, dass es keine guten Grund für ein Aus-der-Thora-lese-Verbot gebe und forderte die Regierung dazu auf, sie möge doch in 30 Tagen einen triftigen Grund nennen, oder es zu erlauben. Vor allem ist dies ein Sieg für orthodoxe Frauen, die zwar Geschlechtertrennung einhalten, aber trotzdem an der Kotel aus der Tora lesen wollen. 

Ein, zwei, drei – drei Schritte in unsere Richtung. Genau wie zu Beginn des letzten Jahres, wo wir einen mächtigen Schritt gemacht haben, als wir den oben schon erwähnten Kompromiss mit der Regierung aushandelten und einen eigenen, einen egalitären Gebetsort aushandelten. 2http://www.jpost.com/Israel-News/Deal-hailed-as-historic-victory-for-non-Orthodox-443440 Doch dann wurden wir Schritt um Schritt nach hinten gedrückt: Zunächst schäumten die sich in der  Koalition befindlichen „Ultraorthodoxen“ etwas vor sich hin und drohten selbige zu verlassen, sollte ein egalitäre Raum geschaffen werden 3 http://www.timesofisrael.com/western-wall-deal-advocates-unfazed-by-ultra-orthodox-opposition/ 3, es dauerte nicht lange, bis von unserer Gebetsstelle an der Klagemauer nichts mehr zu hören war. Ein großer Schritt zurück. Vor einigen Tagen verschwand sogar das Hinweisschild zu der winzigen Plattform, die gestern ja auch höchstrichterlich zurecht nicht als gleichwertiger Ort des Gebets eingestuft wurde. 

Doch noch ein weiterer Stoß wurde uns von der „Ultraorthodoxen“ Shas-Partei beigebracht. Die an der Regierung beteiligten Partei brachte im Winter letzen Jahres ein Gesetz ein, nach welchem die Kotel als „religiösen Ort“ und nicht mehr als „nationales Monument“ einordnen würde. [4. http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/220961] Dies hätte zur Folge, dass das „Ministerium für Dienstleistungen zur Religionsausübung“, schon seit Jahrzehnten zumeist in der Hand der Ultraorthodoxen, über diesen Ort vollkommende Kontrolle hätte. Zugleich hätte jede religiöse Handlung, welche nicht mit der lokalen Tradition übereinstimme und welche die religiösen Gefühle dritter verletzte, eine einjährige Gefängnis- oder Geldstrafe zur Folge. Trotz einer aktuellen Umfrage, nach welcher 81% der säkularen Israelis und 62% der israelischen Bevölkerung gegen ein solches Verbot sind, bleibt es abzuwarten, ob das Gesetz am Ende angenommen wird. 4 http://www.hiddush.org/article-17043-0-62_of_Israelis_support_womens_Torah_reading_at_Western_Wall.aspx
Es wird eine große Kraftanstrengung, um zu erreichen das dieser Schritt in unsere Richtung geht. Es wird eine große Kraftanstrengung, um zu erreichen das dieser Schritt in unsere Richtung geht.

Wir tanzen diesen Tango nun schon seit Jahren und drehen uns mit den Ultraorthodoxen im Kreis, nicht nur an der Kotel. Mal geht es einen Schritt nach vorne, dann wieder zurück. Wir bekommen eine Rabbinerin, müssen aber schlucken dass sie zwar vom Staat bezahlt wird, jedoch offiziell nicht als Rabbinerin. Wir erreichen einen Deal und müssen zusehen, wie er nach nur wenigen Tagen wieder in Frage gestellt wird. Wir erreichen dass es deutlich klar gemacht wird, dass Frauen in Bussen nicht diskriminiert werden, unsere Synagogen werden angegriffen… 

Wir tanzen diesen Tanz oft gegen unseren Willen, denn das was wir erstreiten, sollte in einer modernen Gesellschaft selbstverständlich sein. Das ist es aber leider nicht und so werden wir weiter tanzen müssen und bei jedem Schritt aufpassen, dass wir nicht weiter in die Ecke gedrängt werden. Es wäre jedoch für uns und für unseren Tanzpartner besser, wir würden schnell erkennen, dass wir am Ende des Tanzen immer noch voneinander abhängig sind, denn auch wenn wir uns momentan nicht immer wirklich mögen, gehören wir doch zum zusammen, zum „ Am Israel“. Und die Plätze um die wir kämpfen, werden auch von anderen Kräften beansprucht, wie wir in diesem Jahr auch in der UN immer wieder sehen konnten. Und wir dürfen uns nicht so sehr um uns selber drehen, dass wir am Ende alle wieder nur Sehnsucht nach einer, dann wieder unerreichbaren Kotel haben. 


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Jakob