Und in der Mitte ist eine Wand

Naomi Shemer platzierte die Klagemauer in ihrem Lied „Jerushalayim shel zahav“ (Jerusalem aus Gold) in die Mitte von Jerusalem und drückte damit die Emotionen vieler Juden aus, für die die Kotel ein so wichtiger Teil der jüdischen Identität ist. Das Lied entstand 1967 kurz nachdem dieser historische Ort nach vielen Jahren der Unerreichbarkeit endlich wieder für Juden zugänglich war, Juden die alten Steine nun wieder selber berühren, eine spirituelle Verbindung aufbauen konnten, eine Verbindung zu unserer Geschichte und eine Verbindung im Gebet. 

Jerushalayim shel zahav hat in 40 Jahren nicht an Zauber verloren, die besungene Klagemauer wurde für viele jedoch weniger erreichbar. Zwar kann sie jeder physikalisch berühren und in stille sein Gebet sprechen, eine Strömung hat seither jedoch Besitz ergriffen und diktiert allen Juden ihre Regeln. Die so genannte Orthodoxie hat die Klagemauer in eine  orthodoxe Synagoge umgewandelt und wer deren Spielregeln verletzt, wird vor die Tür gesetzt. Die Herrscher der Kotel haben ihr das Symbol der Einheit aller Juden genommen und versuchen unsere pluralistischen Strömungen auszusperren. 

Verschiedene Organisationen, deren Mitglieder aus allen Strömungen kommen, haben über zwanzig Jahren dafür gekämpft, dass die Kotel eine Heimat für alle Juden wird, dass Frauen laut aus der Thora lesen dürfen; oft wurde diesem Streben gewalttätig begegnet. Mutige haben an der Kotel und im Gerichtssaal für uns alle gekämpft und seit Januar dieses Jahres sieht es so aus, als ob sie für uns einen großen Sieg errungen hätten. Ein egalitärer Platz soll an der Kotel eingerichtet werden, und den kleinen Flecken ablösen, welche die israelische Regierung nur mit Murren und lieblos errichtet hat. Mit einem gemeinsamen Eingang versehen sollen sich die Menschen nun entscheiden können, ob sie den „alten“ orthodoxen Platz aufsuchen wollen oder den neuen, an dem alle pluralistischen Strömungen eine Heimat bekommen werden.

Dieser Sieg hat einen Preis, für den neuen Platz an der Kotel müssen wir dem orthodoxen Rabbinat den „alten“ Platz überlassen. Grade die orthodoxen Frauen, welche unter anderem bei Women of the Wall dafür gekämpft haben, dass Frauen laut an der Kotel beten dürfen, fühlen sich betrogen, denn  sie wollen in an einem orthodoxen Ort beten können, für diese Frauen scheint der Kampf nun erst einmal verloren. 

Warum ist dieser Sieg dennoch so wichtig? In Israel wird die Realität in kleinen Schritten verändert. Wir wollen zwar, dass alle RabbinerInnen in Reformgemeinden vom Staat bezahlt werden, wie es bei den orthodoxen Gemeinden üblich ist, ein Sieg ist aber schon, wenn wir eine Rabbinerin bekommen, wie 2012 geschehen. Langfristig wollen wir, dass alle Strömungen im Judentum als gleichwertig anerkannt werden, wenn jetzt ein öffentlicher Ort des Gebets für uns geschaffen wird, ist dies ein Schritt in diese Richtung. 

Es ist auch ein Zeichen, dass lange Verhandlungen zu einem Kompromiss führen kann und gibt uns Hoffnung weiter zu machen. Es gibt noch so viele weitere offene Baustellen, welche auch wegen der harten Verhandlungen vernachlässigt wurden. 

Zuletzt gibt es die Redewendung „Its all about location, location, location.“ Dies trifft auch hier zu – jährlich kommen tausende von jungen Israelis auf Klassenfahrten zur Kotel, hier könnte der Ort sein, an dem sie sich zum ersten Mal entscheiden, welche jüdische Tradition sie besuchen möchten. Der kleine Ort soll nach dem Ausbau vielen Menschen Platz im Gebet geben. Er könnte eine spirituelle Heimat für Juden aus der Diaspora werden, die Israel besuchen und sich bis jetzt an der Kotel unwohl fühlen. 

Innerhalb der Orthodoxie werden erste Stimmen gegen den Kompromiss laut, unter anderem auch vom „Rabbiner der Kotel“, Shmuel Rabinovitch. Auch einige Mitglieder der Regierung zogen inzwischen ihr Einverständnis zurück und drohen sogar die Regierung zu verlassen, sollte die neue Plaza Wirklichkeit werden. Bis jetzt halten sich solche besorgniserregende Berichte in Grenzen, trotzdem lohnt es sich sicherlich die Ohren offen zu halten. 

Wir von arzenu begrüßen die Schaffung des egalitären Gebetsort an der Kotel und beglückwünschen die vielen Menschen, die hart für diesen Sieg gearbeitet haben. 

Dieser wichtige Schritt gibt uns allen Kraft weiter für ein pluralistisches Israel zu kämpfen.


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Jakob