Antisemitismus an der HAWK Hildesheim
Antisemitismus, Hildesheim, Institutioneller Antisemitismus, Israel, Israelbezogener Antisemitismus, Israelisch-Palästinensischer Konflikt
Im Jahr 1871 schrieb selbst der jüdische Industrielle und spätere Außenminister der Weimarer Republik Walter Rathenau über sich: „Bedarf es einer Erklärung, wenn ich zum Antisemitismus neige?“ [^1] Ihm folgten Etliche, die sich stolz zu ihrem Antisemitismus bekannten, gar hin bis zu ganzen „Antisemitenvereinen“. Zum Glück bekennt sich heute hierzulande kaum jemand mehr offen zum Antisemitismus, von einigen Radikalen abgesehen. Selbst Dr. Wolfgang Gedeon, welcher für die „Alternative für Deutschland“ in den Baden-Württembergischen Landtag gewählt wurde, sagt von sich „Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen mich sind substanzlos, willkürlich und damagogisch.“ [^2].Dies veröffentlichte er wohl als Antwort auf den medialen Aufschrei, welcher durch das Bekanntwerden diverser Textstellen seiner Werke, in denen er in Frage stellt, ob es sich bei den „Protokollen der Weisen von Zion“ um eine Fälschung handle, entstand. Schaut man sich seine Texte dann auch noch genauer an, stellt man fest, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. „…Institutionen wie der Zentralrat der Juden haben in Deutschland eine parastaatliche Funktion und genießen mit anderen entsprechenden Organisationen, wie dem Jüdischen Weltkongress (WJC) oder dem Simon-Wiesenthal-Zentrum, innerhalb der politischen Klasse Deutschlands eine höhere Autorität als der Bundespräsident – soviel zur Handschrift des Zionismus in der deutschen Politik.“ (Christlich Europäische Leitkultur 3, S. 233)“ [^3]. Aber nein, Dr. Wolfgang Gedeon sieht sich nicht als Antisemit!
Antisemit ist ein Schimpfwort geworden, vollkommen zu Recht, wie ich finde. Kaum jemand lässt sich gerne als Antisemit bezeichnen, selbst wenn die Aussagen und Handlungen der so titulierten Person dies rechtfertigen würde. Das erklärt, warum eine Person sofort in Verteidigungsstellung geht, wenn sie auf eine Aussage hingewiesen wird, die als antisemitisch einzustufen ist. Dies kommt aber zu einem hohen Preis: Die Person geht in Abwehrstellung, stilisiert sich zum Opfer – es wird mit dem Finger auf die Anderen gezeigt, eine Selbstreflexion findet nicht mehr statt. Anstatt selbstkritisch zu hinterfragen, ob ich etwas falsches gesagt habe, frage ich warum mich die Anderen plötzlich angreifen und auch noch beschimpfen – als Antisemit. Schnell wird gerufen: „Die da schlagen mit der Antisemitismuskeule um sich“.
Aktuell ist diese Thematik in Anbetracht des jüngst abgesetzten Seminars „Nahost-Konflikt und Soziale Arbeit“ der HAWK Hildesheim beziehungsweise die Reaktion durch die Präsidentin Prof. Dr. C. Dienel. Diese weist den Antisemitismusvorwurf „fast trotzig zurück“ wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung am 15.09. schrieb. [^4] Prof. Dienel hatte sich einer Diskussionsrunde gestellt, zu welcher unter anderem die DIG AG Hannover und die Liberale jüdische Gemeinde Hannover eingeladen hatten.
Der Trotz, von dem die Hannoversche Tageszeitung schreibt, lässt sich auch in zwei Pressemitteilungen der Universität wiedererkennen. Insbesondere in der persönlichen Stellungnahme durch die Präsidentin erkenne ich viele der oben beschriebenen Aspekte. So schreibt sie zum Beispiel „[…] und in der Art der Berichterstattung wird uns keinerlei Chance gelassen […] Es soll mit moralischem Druck und dem völlig unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus erzwungen werden, dass den Kritikern nicht genehme Inhalte an unserer Hochschule verbannt werden.“[^5]. Und weiter schreibt sie „Vor diesem Hintergrund sehe ich es als meine Amtspflicht, die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Lehre zu verteidigen, und zwar umso mehr, je schriller die Vorwürfe werden.“[^6]
Sicherlich ist es erst einmal verständlich, dass sich die Präsidentin vor ihr Lehrpersonal stellt. In der Art der Argumentation sehe ich aber auch das große Problem: In Prof. Dienels Augen sind diejenigen die Bösen, die auf Antisemitismus hinweisen. In ihren Augen scheint die Antisemitismuskritik schlimmer zu sein, als die Nutzung von antisemitischen Texten, die in Seminaren an ihrer Hochschule allen Anschein nach genutzt werden. Aber was ist eigentlich schlimmer: Die Antisemitismuskritik oder die Nutzung antisemitischer Texte, wie etwa die Behauptung, die israelische Armee würde Organhandel mit getöteten Palästinensern betreiben?
In verschieden Diskussionen, die ich, die viele von uns erlebt haben, ist das ein immer gleich ablaufenden Muster: Jemand wird auf antisemitische Aussagen hingewiesen, hier Prof. Dienel oder vorher Dr. Gedeon, um zwei Beispiele zu nennen. Die Kritik am Antisemitismus wird sofort zu einem Vorwurf umgedeutet, die antisemitische Handlung steht nicht mehr im Vordergrund, sondern der Vorwurf. Der Antisemitismus wird dadurch zu einer Randnotiz. Es wird sich in eine Opferrolle begeben: „Wir sollen mit einem Antisemitismusvorwurf zum Schweigen gebracht werden“. Leider bedient sich Frau Prof. Dienel auch dieser Argumentsart wenn sie die Kette bildet aus „…völlig unberechtigtem Vorwurf…“ über „…es soll erzwungen werden, dass…“ zu „… Kritikern nicht genehme Inhalte an unserer Hochschule verbannt werden…“ Unterstützt wird sie von dem „palästina-potal.eu“ welches von einer „Zionistischen Inquisition“ spricht. [^7] Bei dieser sogenannten Inquisition war auch Monty Aviel Zeev Ott, Pressesprecher der DIG Hannover, anwesend: „Frau Prof. Dienels Auftritt entwickelte sich zu einer Farce. Die gerade wiedergewählte Präsidentin sitzt am Podium und zieht sich während der gesamten Situation auf Formalia zurück, dabei spricht sie in kühler deutscher Beamtensprache. Sie betrat den Veranstaltungsort mit eigenen Sicherheitskräften, da fragt man sich schon, welches ‚Drohgebilde‘ in der Fantasie von Prof. Dienel entstanden ist. Ganz darüber hinaus hatte sich Dekanin Paulini zu Hause gelassen, um diese vor den imaginierten Horden zu schützen. Frau Dr. Seidlers Kritik am Seminar ist damals mit sexistischen und antisemitischen Reaktionen abgewertet worden, das ist ein Drama, solch ein Verhalten an einer deutschen Hochschule im Jahr 2016. Ich bin ergebnisoffen in die Veranstaltung gegangen und respektiere Prof. Dienel, dass sie persönlich angetreten ist, um die Diskussion zu führen. Leider blieb ich am Ende mit dem gleichen Urteil wie die Podiumsteilnehmer zurück: Das Problem reicht bis ganz oben! Hier zeigt sich wieder einmal, dass Bildung nicht vor Ressentiments schützt, Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“
Von der Opferrolle gefangen, scheint eine Auseinandersetzung mit den problematischen Themen und Texten bei Prof. Dienel und ihrer Hochschule nicht mehr stattzufinden. In dem konkreten Fall würde die Universität zwar mit einer unabhängigen Expertenkommission zusammenarbeiten, doch eine Untersuchung durch die hochschuleigene Ethikkommission habe ergeben, dass es sich nicht um Antisemitismus handele. Damit scheint der Drops für für die Professorin gelutscht zu sein. Warum werden die kritischen Texte nicht für alle offen einsehbar gemacht, zusammen mit Erläuterungen, weshalb diese in den Augen der Universität nicht antisemitischer Natur sind? Reicht es denn einfach zu schreiben, dass die Texte durch Texte aus israelischer Perspektive gemeinsam behandelt würden? Wird ein Text nicht antisemitisch, wenn er nur ausreichend kontextualisiert wird? Definitiv nicht.
Antisemitismus kann nicht dadurch entgegengetreten werden, dass man schreibt „Antisemitismus hat an unserer Hochschule keinen Platz“[^8]und darauf verweist, dass man zu vielen Israelis professionellen und persönlichen Kontakt pflege. Sich gegen Antisemitismus einzusetzen bleibt ein Lippenbekenntnis bis man nach innen schaut und bereit ist ihn in den eigenen Reihen zu finden und ihm dort konsequent entgegenzutreten.
[^1]: Michael Brenner: Israel – Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates, C.H. Beck Verlag 2016, s. 26f
[^2]: http://www.wolfgang-gedeon.de/anschuldigungen/antisemitismus/ (gefunden am 17.09.2016 um 21:59 Uhr)
[^3]: http://www.ruhrbarone.de/antisemitische-gedeon-afd/129332 (gefunden am 20.09.2016 um 21:40 Uhr)
[^4]: http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Antisemitismusvorwuerfe-gegen-Christiane-Dienel (Gefunden am 17.09.2016 um 23:18 Uhr)
[^5]: http://www.hawk-hhg.de/aktuell/default_214161.php (gefunden am 17.09.2016 um 23:27 Uhr)
[^6]: http://www.hawk-hhg.de/aktuell/default_214161.php (gefunden am 17.09.2016 um 23:27 Uhr)
[^7]: http://www.palaestina-portal.eu (gefunden am 17.09.2016 um 23:43 Uhr)
[^8]: http://www.hawk-hhg.de/aktuell/default_214161.php (gefunden am 17.09.2016 um 23:27 Uhr)